Lockruf der Wildnis
/ 2010


Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts lebt erstmals jeder zweite Mensch in einer Stadt, dabei mehr als ein Drittel in Slums. Während aber die gigantischen Ansiedelungen in den armen Ländern immer rasanter wuchern, leert sich Europa. Grassierender Geburtenschwund, zunehmende Vergreisung der Bevölkerung und die durch Arbeitslosigkeit bedingte Abwanderung haben vielerorts leere Landstriche hinterlassen. Auch in Deutschland drängen immer mehr Menschen in die urbanen Ballungszentren, um dort nach Ausbildung, Auskommen und kultureller Infrastruktur zu suchen, die es in ihren Heimatorten nicht mehr gibt. Zurück bleiben die Alten, die Nicht- oder Zuwenig- Ausgebildeten und eine brüchig werdende kommunale Verwaltung, die teils nur noch mit der Organisation des Abbruchs der ehemals belebten Industriestandorte beschäftigt ist. Man spricht bereits von einem „Ozean aus Armut und Demenz“ oder von der „Provinzialisierung der Provinz“, deren sozialer und politischer Erosion man mit herkömmlichem Wachstumsdenken kaum mehr Herr werden kann. Ganze Regionen „fallen zurück in einen urzeitlichen Zustand, Wölfe treten an die Stelle des Menschen“.

Aber bietet der leere Raum nicht auch ungeahnte Freiflächen zur Erprobung neuer Lebensformen jenseits des Verwertungsprinzips? Die Leere kann auch locken, und genau diesem Lockruf folgen drei Männer um die vierzig. Sie wollen raus aus dem hektischen Leben der Großstadt, weg vom Zwang der Existenzsicherung und Selbstvermarktung. Irgendwo da draußen soll es viel Platz geben, das wissen sie aus den Medien.

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Der erste, den es rauszieht, ist Frank, bei dem war „eh alles im Umbruch“. Herbert folgt ihm, will sich „hier immobilienmäßig umschauen“, steckt doch in der Landschaft „ohne Frage ein wahnsinniges Potential“. Als letzter stößt Bertram dazu, weil man hier angeblich auch jagen gehen kann. Die drei landen, wie in einem fremd anmutenden Land, mitten in der deutschen Provinz. Auf dem ehemaligen Campingplatz einer vom Aussterben bedrohten Kleinstadt lassen sie sich nieder. In der Ferne flackert nur das blaue Licht einer Tankstelle, die versorgt mit dem Nötigsten. Nach und nach lernen sie den Rest der heimischen Bevölkerung – allesamt überflüssige Bewohner einer überflüssigen Region – kennen und entscheiden sich, schließlich länger zu bleiben als geplant.

LOCKRUF DER WILDNIS ist ein Stück über die fiktive Begegnung zwischen Leuten aus der Großstadt, „wo’s richtig abgeht“, und Leuten aus der Provinz, „wo gar nichts mehr geht“; ein Theaterabend über Dinge und Geschichten, die zu Ende gehen, aber auch über entwicklungsfähige, gemeinschaftliche Vorstellungen, die sich in Rückbesinnung auf die eigenen Fähigkeiten gegen die große Depression behaupten und – pragmatisch und kreativ – Ausblicke in die Zukunft wagen.
LOCKRUF DER WILDNIS ist der letzte Teil der Theatertrilogie „Megastadt – Großstadt – Tote Stadt“, bei der die freie Produktionsgruppe unitedOFFproductions den Fokus auf die Lebensentwürfe von Menschen richtet, die sich mutig und stolz in den sich durch Arbeitslosigkeit, demografischen Niedergang und Globalisierung wandelnden Stadtlandschaften behaupten.

 


 

Regie, Textfassung: Dieter Krockauer
Mit: David Jeker, Marco Wittorf, Michael Ulfik
Bühne: Dieter Krockauer, Graciela González de la Fuente
Dramaturgie: Henriette Dushe
Texte: Jeker, Wittdorf, Ulfik, Dushe, Krockauer
Lichtdesign: Hans Fründt
Technische Leitung: Fabian Bleisch, Hans Fründt
Management: Mirca Preißler

Gefördert durch:
Stiftung Niedersachsen, Land Niedersachsen, Fonds Darstellende Künste e.V.

Eine Koproduktion mit:
Forum Freies Theater (FFT) Düsseldorf, Commedia Futura/ Eisfabrik Hannover, Schaubühne Lindenfels Leipzig, Theater unterm Dach Berlin.